Das Bild von Niëzky — Stand der Dinge IV — Stoffsammlung

In einem seiner letzten Briefe — kurz vor seinem Zusammenbruch war Nietzsche, was seine Korrespondenz anbelangt, überaus aktiv — übermittelt er dem dänischen Gelehrten Georg Brandes unter anderem seine Vita, die als Selbstauskunft des Philosophen bezüglich der eigenen Einordnung seines Daseins in den Lauf der Weltgeschichte aufschlussreich ist. Freilich muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass in den letzten Briefen, die sich kurz vor Nietzsches Zusammenbruch überraschend schnell zu sogenannten „Wahnsinnszetteln“ entwickeln, eine beginnende Trübung seines Geistes nicht ausgeschlossen werden kann.
In einem dieser Zettel, adressiert an einen rätselhaften „erlauchten Polen“, thematisiert er um den 4. Januar 1889 seine Abstammung und lässt keinen Zweifel an deren Stellenwert:
„Ich gehöre zu euch, ich bin mehr noch Pole als ich Gott bin… .“
Die plötzliche Hinwendung zur polnischen Herkunft wird auch in dem schon erwähnten Schreiben an Brandes deutlich und bietet einen Ausgangspunkt zu weiterer Recherche:
„Man sagt mir, dass ich auf Bildern Matejkos vorkomme.“
Gemeint ist der polnische Historienmaler Jan Matejko(1) (1838-1893), dessen Darstellungen wichtiger Ereignisse der polnischen Geschichte noch heute große Popularität genießen.
Selbstverständlich ist nicht anzunehmen, dass es so etwas wie eine typisch polnische Gesichtsphysiognomie gibt, doch ist es ein Vergnügen in den Gesichtern auf dem Gemälden nach Ähnlichkeiten zu suchen. In Matejkos in Polen äußerst populärem Portfolio von 44 Bleistiftzeichnungen von Throninhabern der polnischen Geschichte beispielsweise kommen teils verblüffende Übereinstimmungen zum Vorschein.
Die Zeichnung von Boleslaw I. („Chrobry“, der Tapfere) beispielsweise wartet nicht nur mit einem ähnlich imposanten Schnäuzer(2) auf, sondern man kann mit wenig gutem Willen auch ähnliche Gesichstzüge erkennen. Erstaunlich ist die Darstellung von Boleslaw III. („Krzywousty“, Schiefmund). Ihn könnte man für den jungen Nietzsche in Verkleidung halten.

(1) Exkurs »Maler des Ostens«:
Die Qualität von Matejkos Werk wird auch als Wink verstanden, die Aufmerksamkeit bei Gelegenheit vermehrt auf die Malerei im slawischen Sprachraum zu richten. Der Schwerpunkt der kunstgeschichtlichen Disziplinen in den eigenen Ausbildungsphasen war traditionellerweise auf den romanischen Sprachraum konzentriert.
Die Entdeckung des Werks von Ilja Jefimowitsch Repin (1844 – 1930) — wie Matejko ein Zeitgenosse Nietzsches — verschaffte allerdings schon vor einiger Zeit Klarheit darüber, dass in der Kunstgeschichte des europäischen Ostens noch vieles darauf wartet, entdeckt zu werden, obwohl sich mindestens eines von Repins Werken unter den ewigen Lieblingsbildern des Verfassers befindet:
»Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief«.
Übrigens trägt auf diesem Bild jede Figur einen zum Teil veritablen Oberlippenbart. Da ein solcher, recht üppiger, für Nietzsches Äußeres ein bestimmendes Merkmal ist, die für diesen Beitrag letzte thematische Abzweigung:

(2) Exkurs »Nietzsches Bart«:
Ob Frisuren oder Bärte, Haare sind zeichnerisch eigentlich immer eine besondere Herausforderung. Die überzeugende Wiedergabe von Bärten lässt sich beispielsweise hervorragend anhand von Zeichnungen und Skizzen aus der Hand des schon erwähnten Ilja Repin studieren. Darunter sind auch Bärte, welche den Mund vollständig bedecken, wie es bei Nietzsche der Fall ist. Es existiert mutmaßlich nur ein Bild des jungen Nietzsche, auf dem seine durchaus vollen Lippen zumindest teilweise zu erkennen sind. Man hat als Zeichner also den Vorteil sich nicht um seinen Mund kümmern zu müssen, was nicht unbedingt eine Erleichterung ist. Die Kehrseite der einzigartigen „Markeneigenschaft“ von Nietzsches mächtigem, charakteristischen Schnäuzer nämlich ist sein Vermögen das Portrait leicht zu einer Karikatur werden zu lassen, was aber nicht das Ziel des Projekts ist.
Vor Jahren gab es den Versuch einen Pointe mit einer Karikatur Nietzsches umzusetzen. Der Witz war zugegebenermaßen billig und sein niedriges Niveau ist auf die Dürftigkeit der Auseinandersetzung mit Nietzsche zurückzuführen, welche sich damals noch unwesentlich über der Höhe eines Stammtisches befand. Um das eigene Bedürfnis nach einer Dokumentation zu befriedigen, seien lediglich einige (Vor)Skizzen wiedergegeben:

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